Gesundheitsrat spricht sich für mehr Zusammenarbeit beim Zugang zu Arzneimitteln und Medizinprodukten aus

In seiner Sitzung Mitte Juni verständigte sich der Rat der Gesundheitsminister und -ministerinnen darauf, sich gemeinsam stärker für mehr und günstigere Arzneimittel und Medizinprodukte in der EU einzusetzen. Er nahm eine entsprechende Stellungnahme an und einigte sich ebenfalls darauf, die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) mit mehr Befugnissen für die Überwachung und Vorbeugung von Arzneimittelengpässen auszustatten.

Mit ihren Schlussfolgerungen zum Thema „Zugang zu Arzneimitteln und Medizinprodukten – für eine stärkere und resilientere EU“ reagieren die Gesundheitsminister*innen auf die Erfahrungen aus der Pandemie. Sie beziehen sich dabei insbesondere auf die Stärken und Schwächen der gemeinsamen Beschaffung von Arzneimitteln und Impfstoffen. Deshalb beabsichtigen die Staaten, sich in der gemeinsamen Arbeit zukünftig intensiver mit den strukturellen Problemen bei der Versorgung in der EU zu befassen. Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Erschwinglichkeit sind die drei obersten Anforderungen, zu denen der Rat in seiner Stellungnahme im Einzelnen den Handlungsbedarf beschreibt.  

Beim Thema Verfügbarkeit halten es die nationalen Gesundheitspolitiker*innen für wichtig, Versorgungsunterbrechungen frühzeitiger aufzudecken. Die Europäische Kommission wird gebeten, vollständige Bestandsaufnahmen von potenziellen und vorhandenen Produktionskapazitäten für kritische Arzneimittel, Medizinprodukte und andere medizinische Erzeugnisse in der Europäischen Union zu gewährleisten. Außerdem soll die Gebührenverordnung überarbeitet werden, damit die Europäische und die nationalen Arzneimittelagenturen stärker in die wissenschaftlichen und regulatorischen Kapazitäten investieren können. Die Unterzeichner*innen wünschen sich ebenso mehr Kooperation bei der Preisbildung und Erstattung von Arzneimitteln. In einem ersten Schritt wollen sie den Informationsaustausch darüber stärken. Außerdem sollen konkrete Initiativen auf den Weg gebracht werden, die die jeweilige Entscheidungsfindung in den Mitgliedsländern unterstützen. Diese müssen allerdings die unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten berücksichtigen.    

Für eine stärkere Autonomie der EU in Fragen von Arzneimitteln spielt die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) eine wichtige Rolle. Um den Handlungsspielraum der EMA zu vergrößern, hatte die Kommission eine Gesetzesänderung vorgeschlagen, dem nun der Rat und das Europäische Parlament zugestimmt haben.  Der Gesundheitsrat nahm seinen allgemeinen Standpunkt dazu in seiner Sitzung am 15 Juni an.

Download.jpg

Neben der Überwachung und Reaktion von Engpässen bei kritischen Arzneimitteln und Medizinprodukten wird die Agentur in Amsterdam stärker in die wissenschaftliche Beratung bei der Entwicklung von Arzneimitteln einsteigen, und zwar im Falle von grenzübergreifenden Gesundheitsbedrohungen. Das ist eine Konsequenz aus der Pandemieerfahrung. Sie soll die Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen überwachen und klinische Prüfungen koordinieren.

Rat und Parlament folgen auch dem Vorschlag, dort eine interoperable digitale EU-Datenbank für die Überwachung von Arzneimittelknappheiten anzusiedeln. Eine solche Datensammlung soll den Informationsfluss zwischen der Agentur und den nationalen Behörden optimieren. Dafür müsste jedes EU-Land eine Plattform für die Echtzeitüberwachung der medizinischen Versorgung vorhalten, um Engpässe aufzudecken, vorherzusagen und möglicherweise auch zu verhindern.

Die Europaabgeordneten fordern in ihrem Bericht koordinierte, gut konzipierte und groß angelegte klinische Studien, damit zuverlässige Ergebnisse und Erkenntnisse vorliegen. Die Erfahrungen mit klinischen Studien während der Pandemie hätten viele Mängel gezeigt, meinen sie. Doppelarbeit, Bevölkerungsgruppen, die keine Berücksichtigung fanden und die ungenügende Zusammenarbeit gehören für sie dazu. Das EP will außerdem, dass die Informationen über klinische Prüfungen und Genehmigungsentscheidungen öffentlich zugänglich werden.

Die Europaabgeordneten empfehlen für die neuen Arbeitsgremien der Agentur, zu denen die Lenkungsgruppe Arzneimittel und die Lenkungsgruppe Medizinprodukte gehören, ständige Beobachter aus nicht-staatlichen Interessengruppen zuzulassen. Sie denken hier u.a. an Patientenvertretungen und medizinisches Fachpersonal, und ebenfalls an Vertreter*innen aus der Pharmaindustrie. Auch für die Arbeit in den Gremien wünschen sie sich mehr Transparenz. Sie fordern die Agentur auf, Mitgliederlisten und Angaben zu Rekrutierungsverfahren publik zu machen.

Eine effektivere Zusammenarbeit bei der Entwicklung neuer Arzneimittel und im speziellen bei der klinischen Forschung sind zwei der Erkenntnisse, die die Europäische Kommission aus der Pandemie gezogen hat. Ihre Einschätzung veröffentlichte sie Mitte Juni in ihrer Mitteilung „Erste Lehren aus der COVID-19-Pandemie“. Bei den weiteren der zehn Punkte schlägt sie neben den bekannten Themen einen eigenen EU-Epidemiologen, einen Rahmen zum Ausruf eines Pandemie-Notstands und ein Instrument zur Sammlung von Pandemie-Informationen in Europa vor.

Ulrike Wisser