Ethik contra technische Innovationen im Gesundheitssektor?

Regulierung technischer Innovationen auf ethische Grundsätze hin gehören aktuell stets zu den Kernthemen der Diskussionen, wenn es um die Digitalisierung im Gesundheitssektors der EU geht. Und Debatten dieser Art gibt es auf europäischer Ebene in Brüssel einige.

In der kürzlich von der Europäischen Föderation der pharmazeutischen Industrien und Verbände (EFPIA) durchgeführten „Connecting Healthcare Debate“ verwies der stellvertretende Generaldirektor für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission darauf, dass sich der Gesundheitssektor in der EU in einem entscheidenden Moment in der Transformation hin zur Digitalisierung befinde, die Branche aber auch "bis zu einem Jahrzehnt" hinter anderen Wirtschaftssparten im Zusammenhang mit der technologischen Veränderung stehe. Seiner Auffassung ist eine umfassende Neugestaltung des Systems erforderlich, bei dem es vor allem u.a. um die Sicherstellung eines Gleichgewichts zwischen der Nutzung des Potenzials von Gesundheitsdaten für neue Produkte einerseits und dem Schutz von Patienten- und Nutzerdaten andererseits gehe. Das sieht er insbesondere im Zusammenhang mit den aktuellen Regulierungsbestrebungen durch die Politik über die Datennutzung für notwendig, damit diese ausschließlich für Gesundheits- und Forschungszwecke verwendet werden.

Um den Schutz und die Vertraulichkeit von Daten ging es dann auch bei der Veranstaltung „Umgang mit ethischen Implikationen neuer Technologien im Gesundheitsbereich“. Die Vertretung Hessens bei der EU  hatte dazu im Namen der Hessischen Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und dem Vorsitzenden der Merck KGaA eingeladen. Es wurden keine umsetzungsreifen Antworten gegeben, aber einig waren sich die drei Diskussionsteilnehmenden darin, dass die anstehenden Regulierungen das Vertrauen der Bürger und Bürgerinnen sicherstellen müsste, aber auch ausreichend Freiräume für technologische Fortschritte und wirtschaftliche Interessen zulasse. Dr. Sarah Becker vom Institute for Digital Transformation in Healthcare in Witten bestätigte, dass Ethik keine Blockade für Innovationen sein muss. Sie sagte, dass es heute insgesamt 42 ethische Leitlinien gibt, entwickelt sowohl vom Gesetzgeber als auch von Unternehmen und Zivilgesellschaft, wie Stiftungen und Think-Tanks. Ihr Institut habe sich einen Überblick geschaffen und die am meisten vorkommenden Begriffe in den Digital Ethics Guidelines seien Transparenz und Autonomie, also bereits seit langem bestehende Werte. Unser kulturelles Verständnis und unsere Werte bilden sich auch in der Digitalisierung ab, unterstrich sie.

Prof. Dr. med. Steven Hildemann, Vorsitzender des Merck Bioethics Advisory Panels sagte, dass sich  in den europäischen Unternehmen das Innovationsinteresse auch weiterhin an dem Versorgungsprinzip orientiere. Deshalb stehe bei neuen Entwicklungen der Nachweis des Nutzens für die Gesundheit im Mittelpunkt. Diesen sieht er bei vielen Applikationen, die heute im Gesundheitsmarkt angeboten werden, noch nicht nachgewiesen. Zukünftig werde es immer wichtiger, das Nutzen-Risikoprinzip von neuen Technologien in den Blick zu nehmen. Auch für Unternehmen stehe das Vertrauen der Nutzer und Patienten an erster Stelle. Sei das nicht gesichert, könne ein neues Produkt auch wieder schnell vom Markt verschwunden sein. Für ihn ist wichtig, dass bestehende  Leitlinien und Standards auch umgesetzt werden.

Nicola Baer von der FDP, die im Sommer dieses Jahres erstmals ins Europaparlament gewählt wurde, bestätigte, dass die Themen Künstliche Intelligenz, Ethik und das Potential technischer Entwicklungen für Mensch und Wirtschaft auch für das Parlament ein wichtiges Thema in der Legislaturperiode sind. Dabei ist es ihrer Fraktion wichtig, dass der Schutz von Patienten- und Nutzerdaten beim Ausbau  digitaler Gesundheitsprodukte und -dienstleistungen im Mittelpunkt steht. Sie spricht sich deshalb für eine Regulierung aus, die einen Rechtsrahmen für die Zukunft bietet und nicht versucht, Einzelheiten rechtlich festzulegen. Allerdings sei das Anliegen nicht einfach, da heute nicht absehbar sei, was die technologischen Entwicklung noch alles an Fragestellungen mit sich bringen.

Darin waren sich dann auch wieder alle einig: die technologischen Entwicklungen werden immer schneller, deshalb müssen die Regeln jetzt gemacht werden. Wahrscheinlich gebe es zukünftig nicht mehr so viel Zeit, wie sie heute noch bestehe, Bewertungen und Risiko-Nutzen-Abschätzung von neuen Technologien vorzunehmen.

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Ulrike Wisser