Einigung des Europäischen Rates zum EU-Aufbaufonds geht zu Lasten des mehrjährigen Finanzrahmens
Die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten haben auf ihrem viertätigen Gipfel Mitte Juli eine politische Einigung zu dem Covid-19-Aufbaufonds „Next Generation EU“ und dem Finanzrahmen für die Zeit 2021 bis 2027 erreicht. Das Ergebnis stößt allerdings nicht überall auf Zustimmung.
Der Europäische Rat verständigte sich für „Next Generation EU“ auf die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Mittelausstattung von 750 Mrd. € zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung in den Mitgliedstaaten im Nachgang der Pandemie. Wie seine Schlussfolgerungen ausweisen, soll diese Summe auf 360 Mrd. € für Darlehen und 390 Mrd. € für Zuschüsse aufgeteilt werden. In der Zuordnung von Geldern auf einzelne Finanzierungsinstrumente sind die Staatsoberhäupter*innen nicht ganz der EU-Behörde gefolgt. Geht es nach ihnen, wird die Aufbau- und Resilienzfazilität mit 672,5 Mrd. € ausgestattet, ein Aufschlag von ca. 70 Mrd. €. Dafür wurde bei anderen Programmen, für die über den normalen Haushalt hinaus weitere Finanzmittel aus dem Aufbaufonds vorgesehen waren, gekürzt. Danach werden für das Forschungsprogramm Horizont Europa nicht mehr die angedachten 13,5 Mrd. €, sondern nur noch 5 Mrd. € veranschlagt. Die für das EU4Health-Programm erwarteten 7,7 Mrd. € tauchen in dem Gipfelergebnis nicht mehr auf, genauso wie die geplanten Gelder für eine Solvenzunterstützung und die Hilfe für Drittstaaten. Daraus könnte geschlossen werden, dass die Staaten den Aufbaufonds fast ausschließlich für ihre nationalen Erholungsmaßnahmen nutzen wollen, und weniger an einer europäischen Zusammenarbeit in Feldern, wie Forschung und Gesundheit interessiert sind. Das Europäische Parlament kritisiert diese Haltung. Das Erreichen im allgemeinen Interesse liegender gemeinsamer Lösungen werde allzu häufig durch das ausschließliche Festhalten an nationalen Interessen und Standpunkten aufs Spiel gesetzt, kommentiert sie das Ergebnis.
Quelle: Rat der EU
Um die Finanzmittel zu erhalten, müssen die EU-Länder nationale Aufbau- und Resilienzpläne in Brüssel vorlegen, die ihre vorgesehenen Reformen und Investitionen für die Jahre 2021 bis 2023 darlegen. Die Europäische Kommission wird diese dahingehend überprüfen, ob die europäischen Ziele in Verbindung mit dem Binnenmarkt, dem sozialen Europa, dem Klimaschutz und der Digitalisierung berücksichtigt sind und Strukturreformen zu mehr Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft sowie des Gesundheits- und Sozialsystems führen.
Für den Siebenjahres-Haushalt der EU (MFR) einigten sich die 27 Regierungsvertreter*innen auf eine Gesamtsumme von 1.074,3 Mrd. €. Damit bleiben sie hinter dem von der Kommission vorgeschlagenen Betrag. In der Finanzübersicht sind unter anderem 1,7 Mrd. € für das neue eigenständige Gesundheitsprogramm EU4Health ausgewiesen. 5 Mrd. € werden für eine mögliche Unterstützung beim Brexit reserviert, die bei unvorhergesehenen und nachteiligen Auswirkungen, den am schwersten betroffenen Mitgliedstaaten und Sektoren zugutekommt. Der Vergleich der verschiedenen Budgetvorschläge in der Vor- und Nach-Coronazeit zeigt, dass für eine Reihe von Förderprogrammen mehr oder weniger große Kürzungen anstehen, sollte das Gipfelergebnis sich durchsetzen.
Das allerdings erscheint zum jetzigen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich. Das Europäische Parlament hat unmittelbar reagiert und in der Entschließung zu den Beschlüssen des Europäischen Rates seine Kritik deutlich gemacht. Sie wollen die langfristigen Prioritäten der EU, die im MFR verankert sind, nicht auf dem Altar des Aufschwungs geopfert sehen, heißt es dort. Die Abgeordneten kritisieren nicht nur die Größe des Haushalts, sondern auch fehlende Entscheidungen zu der Eigenmittelfrage. Die verschiedenen Redebeiträge in der Sondersitzung des EP verdeutlichen, dass sie sich auch mit der vagen Formulierung des Europäischen Rates nicht abfinden wollen, die sich auf das Verhältnis zwischen der Rechtstaatlichkeit und dem Erhalt von EU-Geldern bezieht. Die EU sei kein Geldautomat, war immer wieder zu hören. Das EP wird der politischen Einigung über den MFR in seiner derzeitigen Fassung nicht zustimmen, das geht deutlich aus der Position hervor. Der EVP-Vorsitzende im EP, Manfred Weber, prangerte die massiven Kürzungen im Gesundheitsbudget an. Gerade angesichts der Corona-Pandemie sei es unglaublich, was hier gerade geschehe, so drückte er seinen Unmut aus. Auch die S&D-Vorsitzende Iratxe García kritisierte die Kürzungen angesichts aktueller Zeiten, in denen die strategische Autonomie der EU gestärkt und die Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten verringert werden müssten.
Quelle: Europäisches Parlament
Das Parlament ist für rasche Verhandlungen bereit, heißt es in der Entschließung. Es will sich aber auch nicht zwingen lassen, ein schlechtes Abkommen aufgrund von Zeitdruck zu akzeptieren. Seiner Vorstellung nach muss bis spätestens Ende Oktober eine politische Einigung vorliegen, damit die neuen Programme ab dem 1. Januar 2021 reibungslos starten können. Ansonsten berufen sich die Abgeordneten auf die rechtlichen Möglichkeiten, gegebenenfalls ein Jahr zu überbrücken.
Auch die Europäische Kommission wünscht sich einen schnellen Start, besonders für den Aufbaufonds. Sie baut eine „Recovery and Resilience Task Force” auf, die am 16. August 2020 ihre Arbeit aufnehmen soll. Die Aufgabe der Spezialeinheit, die im Generalsekretariat angesiedelt wird, ist die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Erarbeitung und Umsetzung ihrer nationalen Erholungspläne. Mit ihr soll sichergestellt werden, dass die Vorhaben den Regeln entsprechen und sich an den Zielen der EU ausrichten. Außerdem wird sie für das Monitoring der Finanzen und die Koordinierung mit dem Europäischen Semester sorgen. Eine hochrangige Gruppe, u.a. aus Ursula von der Leyen, den drei stellvertretenden Exekutiv-Vizepräsident*innen Dombrovskis, Vestager und Timmermans und dem Kommissar für Wirtschaft Paolo Gentiloni steuern die Arbeit der Taskforce.