Forderungen nach mehr EU-Kompetenz im Gesundheitsbereich

Quelle: Europäische Kommission

Quelle: Europäische Kommission

Unterschiedliche Autoren und Autorinnen haben sich als Folge der Coronavirus-Pandemie mit der Forderung zu Wort gemeldet, Gesundheitspolitik mehr Gewicht in der europäischen Zusammenarbeit der EU zu geben.

Die Fraktion der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament, der auch die deutschen SPDler*innen angehören, spricht sich für die Einführung eines Europäischen Gesundheitsreaktionsmechanismus aus. In ihrem Brief an die Europäische Kommission und den Rat der EU loben sie die Maßnahmen der EU in der Covid-19 Krise, weisen aber auf die Überforderung der Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten hin. Die Fraktion regt an, dass die Staaten ihre Systeme einem Stresstest mit Blick auf die Bewältigung von Pandemien unterziehen. Die Ergebnisse sollen dann Grundlage für Mindeststandards für eine hochwertige und resistente öffentliche Gesundheitsversorgung in Europa sein. Erarbeitet von der Europäischen Kommission sollten sie den Ländern als Baseline dienen.

Um die öffentliche Gesundheit besser zu schützen, braucht es nach Auffassung der politischen Gruppe auch wirksamere Instrumente der EU sowie eine besser finanzierte und zugängliche Gesundheitsversorgung in allen EU-Ländern. Ein Europäischer Gesundheitsreaktionsmechanismus hat nach Auffassung der Politiker*innen u.a. den Vorteil, die in der aktuellen Krise eingeführten Maßnahmen und Leitlinien der EU zu formalisieren. Sie denken da an die neuen Sachverständigengruppen und an verschiedene Orientierungshilfen für die grenzüberschreitende Versorgung von Covid-19 Patienten und die Entsendung von medizinischem Personal. Ein solcher Mechanismus soll die EU in die Lage versetzen, bei einer zukünftigen Pandemie angemessen reagieren können. Außerdem wird er als erster Schritt für den Aufbau einer Europäischen Gesundheitsunion angesehen. Die Fraktion spricht sich für eine Union aus, die eine stärkere Koordination nationaler Politiken, eine gemeinsame Gesundheitsforschung und eine stärkere Autonomie Europas bei medizinischen Produkten ermöglicht.

In eine ähnliche Richtung geht Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Er fordert in einem jetzt veröffentlichten Schreiben mit dem Titel „Gesundheit ist das Wichtigste, auch in der EU“ gemeinsam mit zwei weiteren Abgeordneten eine absolute Priorität für Gesundheit in allen EU-Institutionen. Die drei Unterzeichner*innen sind selbst Ärzte. Sie wissen, dass Gesundheit in der EU-Politik nicht immer als Schwerpunkt betrachtet wurde und Gesundheitspolitik oftmals als rein nationale Angelegenheit angesehen wird. „Die Corona-Krise zeigt nun, dass es eine völlig falsche Entscheidung war“, schreibt das Autorenteam. Sie fordern eine erweiterte Zuständigkeit für die EU, um mehr europäische Souveränität bei medizinischen Materialien und Ausrüstung zu erreichen und die Zusammenarbeit in der Forschung zu stärken. Sie nennen es eine gemeinsame und innovative europäische Gesundheitspolitik. Vom Europäischen Parlament fordern sie die Einrichtung eines speziellen Gremiums für Gesundheitsfragen.

Den Abgeordneten, die den drei größten Fraktionen des Europäischen Parlaments angehören, ist außerdem ein eigenständiges und finanziell gut ausgestattetes Gesundheitsprogramm wichtig. Gesundheit soll darüber hinaus ein Schwerpunkt in den Europäischen Strukturfonds und in der Forschung werden.

Auch ehemalige High-Level Politik meldet sich bei dem Thema aktuell zu Wort. Der Präsident des Europäischen Parlaments in der Legislaturperiode 1994-1997, Klaus Hänsch, veröffentlichte  gemeinsam mit den zwei früheren Europäischen Kommissar*innen Violeta Bulc and Vytenis Andriukaitis einen Leserbrief bei Euractiv. Sie setzen sich unter der Überschrift „Call for Action: Time to strengthen the EU’s public health policy powers“ ebenfalls für einen größeren Handlungsspielraum im Gesundheitsbereich für die EU ein. Sie wollen für die Kommission mehr Verantwortung sowie eigene finanzielle Ressourcen. Bei seltenen Krankheiten müsse es eine geteilte Zuständigkeit zwischen den Mitgliedstaaten und der EU für Behandlung und Heilung geben. Für die Autoren ist es an der Zeit, eine Erweiterung des EU-Vertrages zu diskutieren, um den neuen gesundheitspolitischen Realitäten Rechnung zu tragen.

Die Debatte zur Frage, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie für die europäische Gesundheitspolitik hat, ist auf der europäischen Agenda angekommen. Auch seitens der Mitgliedstaaten haben sich bereits einige wichtige Entscheidungsträger für mehr Europa in der Gesundheit geäußert. Ob die EU-Länder allerdings notwendige Vertragsänderungen mittragen würden, bleibt abzuwarten.

Quelle: Socialists and Democrats in the EP

Quelle: Socialists and Democrats in the EP

Ulrike Wisser