Duales Krankenversicherungssystem Deutschlands gibt Europäischer Kommission Anlass zur Sorge
In ihrer Ende Februar dieses Jahres vorgelegten Länderanalyse für Deutschland zum Europäischen Semesters bewertet die Europäische Kommission das System von privaten und gesetzlichen Krankenkassen als negativ. Das duale Krankenversicherungssystem schwächt ihrer Meinung nach das Solidaritätsprinzip im Gesundheitswesen.
Das Europäische Semester ist der Überbegriff für einen jährlich stattfindenden Prozess auf EU-Ebene, mit dem die Haushalts-, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitiken der Mitgliedstaaten bewertet werden. Ziel des im Jahr 2011 begonnenen Verfahrens ist es, durch ein regelmäßiges Monitoring und zielgerichtete politische Empfehlungen notwendige Strukturreformen unter gleichzeitiger Haushaltsstabilität anzuregen. Die übergreifenden Ziele für die EU sind die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität in Europa sowie die Gewährleistung einer sozialen Marktwirtschaft. Mit der neuen Kommission und ihrem „Green Deal“ liegt der Schwerpunkt jetzt auf einer nachhaltigen Wirtschaft und dem ökologischer Wandel und der Frage, welche wirtschafts-, beschäftigungs- und sozialpolitische Maßnahmen dazu beitragen.
Mit dem Europäischen Semester werden Strukturreformen in den Mitgliedstaaten insbesondere in den Bereichen Öffentliche Finanzen und Besteuerung, Finanzsektor, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik, Reformen für Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen sowie Ökologische Nachhaltigkeit fachlich begleitet. Bei der Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik orientiert sich die EU-Verwaltung an der Europäischen Säule sozialer Rechte.
Für den Bereich der Gesundheits- und Langzeitpflegesysteme bewertet die Europäische Kommission die Fortschritte hin zu finanziell tragfähigen, effizienten, erschwinglichen und leicht zugänglichen hochwertigen medizinischen Leistungen als unterschiedlich gut in der EU. Leistungsfähige Gesundheitssysteme sind im Verständnis des Europäischen Semesters Voraussetzung für eine produktive und widerstandsfähige Erwerbsbevölkerung. In ihrer Mitteilung „2020 Europäisches Semester“, in der sie die Entwicklungen für alle Länder zusammenfasst, nennt sie dreizehn EU-Staaten, für die sie einen Reformbedarf der Gesundheits- und Langzeitpflegesysteme sieht. Diese hatten im letzten Jahr dazu spezielle länderspezifische Empfehlungen von der EU erhalten. Deutschland gehört nicht dazu. Anlass zur Sorge gibt es aber trotzdem, so steht es im Text der Analyse. Im Länderbericht Deutschland weisen die Autor*innen darauf hin, dass das duale Krankenversicherungssystem das Solidaritätsprinzip im Gesundheitswesen schwächt, da es Beamten, Selbstständigen und Menschen mit hohem Einkommen die Möglichkeit gebe, aus der sozialen Krankenversicherung auszusteigen.
Für die Gesundheitsversorgung allgemein gibt es ein gut, da es generell gut zugänglich und breit gefächert sei. Der ungedeckte Bedarf an medizinischer Versorgung war 2018 einer der niedrigsten in der EU (0,2%) und lag deutlich unter dem EU-Durchschnitt (1,8%). Es bestehen aber nach wie vor Ungleichheiten, insbesondere für die Gruppe der einkommensschwächeren Personen. Außerdem wird beobachtet, dass soziale Ungleichheiten in Bezug auf Sterblichkeit und Lebenserwartung zunehmen.
In einem nächsten Schritt ist es nun an den Mitgliedstaaten, in ihren nationalen Reformprogrammen darzulegen, welche wirtschafts- und sozialpolitischen Prioritäten sie in Bezug auf die festgestellten Probleme bzw. Reformbedarfe setzen wollen. Die Berichte werden für Mitte April erwartet. Davon abhängig, formuliert die EU-Behörde dann ihre spezifischen Ratschläge an einzelne Länder, die vom Rat der EU mitgetragen werden.